Unternehmen brauchen ein Gesicht

Wer an Milka denkt, der sieht vor seinem inneren Auge die lila Kuh und die Alpenwelt. Wer an Marlboro denkt, der sieht Cowboys und den wilden Westen. Wer an Becks Bier denkt, der sieht das grüne Segelschiff und das Meer. Anhand solcher inneren Bilder können Konsumenten eine Marke schnell erkennen, von anderen unterscheiden und begehrenswert finden.

Den meisten Unternehmen fehlt jedoch bislang eine eigene Bilderwelt (Corporate Imagery) und damit ein Gesicht, das Mitarbeiter, Kunden, Geschäftspartner und Aktionäre erkennen, das sie von anderen unterscheiden können und bei dem sie sich freuen, es wieder zu sehen.

Bilderwelten sind visuelle Zeichen, die die Unternehmenspersönlichkeit transportieren. Sie können informieren und emotionalisieren. Das Ergebnis sind innere Bilder, die bei den internen und externen Bezugsgruppen spontan entstehen, wenn sie an das Unternehmen denken.

Wie stark innere Bilder wirken, ist leicht anhand einiger Beispiele erklärt:

  • Wir träumen in Bildern: Wer wäre nicht schweißgebadet aufgewacht, weil er sich inmitten einer schrecklichen Szene gesehen hat – einem Unglück, einer Katastrophe oder auch nur das eigene Versagen bei einer Rede vor wichtigen Leuten.
  • Wir erinnern uns in Bildern: Wer an einen sehr bewegenden Moment in seinem Leben zurück denkt, in dem entstehen innere Bilder: vom Lachen eines Kindes, vom Abschied oder Wiedersehen eines Freundes.
  • Wir orientieren uns durch Bilder: Zum Beispiel können wir die Lage jeder Straße in New York beschreiben, weil wir das innere Bild von Manhattan als Schachbrett besitzen. Genau so können wir erklären, wo die Fischabteilung in unserem Supermarkt liegt.
  • Wir entscheiden anhand von Bildern: Viele Menschen entscheiden sich für ihr nächstes Urlaubsziel, weil sie bildliche Erinnerungen an einen vergangenen Urlaub haben oder sich an ein attraktives Ziel erinnern, dass sie im Reisekatalog oder im Fernsehen gesehen haben.
  • Bilder sprechen stark an: Wen berührt nicht das Suchbild einer entlaufenen Katze am Baum? Spendenaufrufe aktivieren uns dann am stärksten, wenn wir Bilder sehen.

Starke Bilderwelten führen zu prägnanten, inneren Bildern bei den Bezugsgruppen. Diese inneren Bilder wiederum beeinflussen das Verhalten besonders stark. Nicht nur die Werbung hat dies erkannt: Die Titelseiten renommierter Zeitungen werden immer häufiger visuell gestaltet, TV-Berichte mit Filmen und visuellen Reizen unterlegt. Fachleute sehen daher die »visuelle Zeitwende« gekommen, die dem Zeitalter der gesprochenen und geschriebenen Sprache folgt.

Visuelles Potenzial in den PR längst nicht erschöpft

In den Public Relations fehlen meist Bilderwelten, die starke und einzigartige innere Bilder in den Bezugsgruppen erzeugen, die mit Informationen und Emotionen über das Unternehmen verbunden sind. Werden überhaupt visuelle Elemente in den PR eingesetzt, sind dies Logos, Schriften, Farben des Corporate Design sowie Fotos. Jedoch haben diese Elemente ihre deutlichen Grenzen: Logos müssen als Zeichen, die für etwas stehen, eine Bedeutung haben. Diese Bedeutung müssen die Empfänger eindeutig entschlüsseln können. Bei vielen Logos scheint dies nicht möglich; zudem emotionalisieren sie kaum, fand die Pilotstudie der Uni-Klinik Bonn und der Deutschen Post/Siegfried Vögele Institut (SVI) heraus.

Das Problem mit Farben ist, dass sie Moden unterworfen sind: Derzeit setzen viele Unternehmen die Farbe blau ein, weil sie die Lieblingsfarbe der Deutschen ist. Ergebnis: Die Unternehmen unterscheiden sich optisch kaum. Ein anderes Problem mit Farben ist, dass selbst Fachleute uneins sind, welche Assoziationen sie beim Betrachter auslösen: Mal steht rot für beschützend (Schaie), mal für feindselig (Wexner), mal für rebellisch (Kouwer) und mal für gesund (Hofstätter). Blau steht in Österreich für Treue, in Brasilien für Gleichgültigkeit, in Dänemark für Qualität, in Finnland für Unschuld und in Frankreich für Ärger und Furcht. Farben werden also immer im Kontext von Kultur und persönlichen Präferenzen bewertet.

Fazit: Das klassische Corporate Design scheint für den Einsatz in den PR angesichts der heutigen Marktbedingungen nicht ausreichend, um angemessen über die Unternehmenspersönlichkeit zu informieren, die mit ihr verbundenen Gefühle zu transportieren und innere, verhaltenswirksame Bilder entstehen zu lassen.

Fotos von Personen, Maschinen und Gebäuden lassen keine stabilen inneren Bilder entstehen, weil die Motive ständig wechseln. Allgemeine Unternehmensbilder auf der Website und in Imagebroschüren sind oft austauschbar, zumal, wenn sie aus Bildkatalogen stammen. Unternehmensbilder können Widersprüche hervorrufen.

Gründe für den geringen Einsatz von Bilderwelten

Warum nutzen so wenige Unternehmen die Potenziale starker und einzigartiger Bilderwelten? Zu oft noch gilt die Überzeugung: PR stehen für Texte mit Informationen, Werbung steht für Bilder mit Emotionen. Dieser angebliche Gegensatz ist falsch und unsinnig: Falsch deshalb, weil auch Texte emotionalisieren können, wenn wir an einen Roman oder eine gut geschriebene Broschüre denken. Falsch deshalb, weil auch Bilder informieren können, indem die Motive die Eigenschaften eines Unternehmens zeigen, wie das soziale Engagement im Fall Benetton. Unsinnig ist die Annahme, weil die sinnvolle Kombination von Text und Bild die Wirkung von Kommunikation verstärken kann, zum Beispiel indem das Bild anschaulich und überzeugend darstellt, was der Text beschreibt. Unsinnig ist die Trennung auch deshalb, weil es auch in den PR immer wichtiger wird, dass ein Unternehmen nicht nur den Kopf, sondern auch das Herz seiner Bezugsgruppen anspricht, um deren Wünschen und Erwartungen an stabilen Beziehungen zu genügen.

Summa summarum: Die Public Relations haben die visuelle Entwicklung bisher weitgehend verschlafen. Dies ist ein großes Versäumnis, denn die Forschung hat herausgefunden, dass innere Bilder besonders stark wirken und das Verhalten von Menschen nachhaltig steuernd beeinflussen:

  • Wahrnehmung: Bilder werden schneller und ganzheitlicher wahrgenommen als Texte. Marketinglegende Werner Kroeber-Riel drückt dies so aus: »Bilder sind schnelle Schüsse ins Gehirn!« Es reicht bereits der Bruchteil einer Sekunde, damit wir uns eine grobe Vorstellung von einem Bild machen können, genau gesagt 300 Millisekunden – dies entspricht einem Augenzwinker.
  • Aktivierung: Bilder aktivieren stärker als Texte. Durch die höhere Aktivierung werden Bilder vor Texten betrachtet (Bilddominanz); Betrachter finden Bilder meist interessanter als Texte und bevorzugen sie deshalb bei der Informationsaufnahme. Einige Zahlen: Von der Betrachtungszeit einer Anzeige entfallen 76 Prozent auf das Bild, 16 Prozent auf die Überschrift und nur 8 Prozent auf den Text. Aber auch Webseiten und Zeitungen werden zunehmend »geschaut«, und nicht mehr gelesen. Gerade noch 20 Prozent der Artikel in einer Zeitung werden heute über den ersten Absatz hinaus gelesen.
  • Verarbeitung: Bilder werden automatisch und mit geringer gedanklicher Beteiligung verarbeitet: Um ein Bild mittlerer Komplexität so aufzunehmen, dass es später erinnert wird, sind etwa 2 Sekunden erforderlich. In dieser Zeit werden nur etwa 6 bis 7 Wörter aufgenommen. Bilder werden analog, Texte seriell verarbeitet.
  • Speicherung: Bilder werden besser erinnert als Texte, denn die höhere Aktivierung des Gehirns stimuliert das langfristige Erinnern. Untersuchungen haben gezeigt, dass Konsumenten sogar die Hutkrempe des Cowboys aus der Marlboro-Werbung beschreiben können.
  • Erlebnis: Bilder können wesentlich besser emotionale Erlebnisse vermitteln als Texte. Besonders aktivierend waren z.B. die Werbung und die Dessousplakate mit Heidi Klum oder Claudia Schiffer, die unzählige Male entwendet wurden.
Bilderwelten können nach innen und außen wirken: Die Kampagne der Berliner Stadtreinigung (BSR) war eigentlich für die Berliner Bevölkerung gedacht; doch auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BSR konnten sich mit der Bilderwelt identifizieren. Die Kampagne geriet zum überragenden Erfolg.

Viele Motive für Bilderwelten

Entscheidet sich ein Unternehmen, die Potenziale von Bilderwelten zu nutzen, hat es viele Motive zur Wahl: Die Bilderwelt kann im Zusammenhang mit den Bezugsgruppen stehen, mit dem Gebrauch der Leistungen, dem Unternehmen selbst und den durch das Unternehmen ausgelöste Assoziationen.

Die Bilderwelt kann kombiniert sein mit einem Claim, wie im Fall der Württembergischen Lebensversicherung (»Fels in der Brandung«) als Ausdruck der soliden, zuverlässigen und vertrauenswürdigen Leistung. Dabei sind Bilderwelten kein starres Korsett, sondern sie erlauben größtmögliche kreative Freiheit bei Ausrichtung an einer Kernaussage. Beispiel: Ein Unternehmen kann seine Kernaussage »Menschen mit Energie« unter anderem durch die Abbildung von Personen, Gegenständen des täglichen Lebens von aktiven Menschen, Sportmotive vermitteln. Wichtig ist lediglich, dass die Motive aus einer zentralen Kernidee abgeleitet sind.

Einsatz von Bilderwelten in den PR

Bilderwelten sind in den PR überall dort sinnvoll, wo ein Unternehmen langfristig stabile innere Bilder von seiner Unternehmenspersönlichkeit bei seinen Bezugsgruppen aufbauen will. Hier drei Beispiele:

  • Broschüren: Die klassische informierende Imagebroschüre wird sich aufgrund von Informationsüberlastung und abnehmenden Interesse der Konsumenten sowie der schnellen Veränderungen in den Unternehmen zur vorwiegend visuellen Visitenkarte des Unternehmens entwickeln. Die informierenden und emotionalisierenden Bilder werden durch zentrale Textaussagen ergänzt. Im Geschäftsbericht vermitteln die aus der zentralen Bilderwelt des Unternehmens abgeleiteten Motive die Kernaussage des Unternehmens zum abgelaufenen Geschäftsjahr.
  • Internet: Die Bilderwelt des Unternehmens kann den visuellen Internetauftritt bestimmen und optische Klammer über allen dortigen Angeboten sein – auch jenen der Werbung und der Verkaufsförderung. Die visuelle Leitidee vermeidet das Kunterbunt vieler Websites, die den Betrachter irritieren. Er wird sich besser zurecht finden, sich stärker identifizieren und das Surfen als weniger anstrengend wahrnehmen.
  • Events: Bilderwelten können das zentrale visuelle Thema dieser Veranstaltungen sein, die auf rein emotionalem Weg die Unternehmenspersönlichkeit und die mit dieser verbundenen Gefühle transportiert. Beispiel ist die Firma Jacobs, die zum Firmenjubiläum die Verarbeitung von Kaffee durch eine Schiffreise, Bordnachrichten und erinnerungsstarke Motive eines kolumbianischen Hafens umgesetzt hat.

Fazit

Künftig wird Corporate Imagery die Kommunikationswirkung und damit den Wert eines Unternehmens wesentlich mitbestimmen. In Zeiten zunehmender Informationsüberlastung brauchen Unternehmen ein Gesicht, eine Unique Imagery Proposition, um sich vom Wettbewerb zu differenzieren und bei den Bezugsgruppen prägnante, innere Bilder entstehen zu lassen. Voraussetzung ist aber, dass die PR zügig Kompetenzen über Bilderwelten aufbaut. Von der Werbung können sie hierbei nur bedingt profitieren, denn auch dort gibt es kaum gelungene Beispiele für strategische Bilderwelten. Vielmehr geht es darum, eine auf die Anforderungen der PR zugeschnittene Bildsprache zu entwickeln. Eine so verstandene visuelle PR, die weit über Pressefotos hinausgeht, steht vor faszinierenden kommunikativen Herausforderungen.

Der Autor

Prof. Dr. Dieter Herbst ist Geschäftsführer der source 1 networks GmbH und Honorarprofessor für strategisches Kommunikationsmanagement an der Universität der Künste Berlin.

Er unterrichtet an weiteren Hochschulen im In- und Ausland. Er ist Autor zahlreicher Bücher zum Thema Kommunikation und international gefragter Berater und Referent.

Weiterführende Informationen

Mehr Informationen findet man auf der Website von Prof. Dr. Dieter Herbst oder in seinem Buch »Corporate Imagery«.

Autor: Prof. Dr. Dieter Herbst

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