Werbung auf »Kuschelkurs«

Prof. Barbara Kotte lehrt an der HAWK-Fakultät Gestaltung im Kompetenzfeld Advertising Design. Sie ist zudem Jury Chairwoman für den ADC Junior Wettbewerb. Im Interview mit Julia Dittrich aus der HAWK-Pressestelle erklärt sie, welche wichtige Rolle Kommunikationsdesign in der Corona-Krise einnimmt und wie Covid-19 Werbung verändert.

Interview Werbung zur Corona-Zeit

Einige Branchen sind von der Corona-Krise besonders betroffen. Wie sieht es in der Kreativwirtschaft aus?

Die Bundesregierung schätzt die Verluste in der Kreativwirtschaft in diesem Jahr zwischen 9,5 und 28 Milliarden (nicht Millionen, sondern Milliarden) Euro. Sämtliche Events sind abgesagt, es sind keine Filmproduktionen möglich, keine Shootings und, und, und. Auch, wenn es Lockerungen gibt, wir sind noch weit weg von einer Normalität, wie wir sie kannten. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Kreativwirtschaft viele sogenannte Solo-Selbständige tätig sind, die oft wenig finanzielles Polster haben. Es ist deshalb gut, dass es staatliche Unterstützung gibt.

Wie hat sich die Arbeit in der Branche verändert?

Ich denke, es gibt keine einzige Agentur, die nicht alle Mitarbeiter ins Home-Office geschickt hat. Die Konsequenz ist in allen Branchen gleich: Online-Meetings und digitale Arbeitsplattformen bestimmen die Arbeitsprozesse. Gleichzeitig sind natürlich auch viele Aufträge weggefallen. Produkteinführungen wurden verschoben – und am Werbe- und Kommunikationsbudget zu sparen ist für viele Unternehmen der erste Schritt. Verständlicherweise, denn es geht oft ja erst einmal darum, die eigenen Arbeitsplätze zu erhalten.

Von #StayHome bis #MaskeAuf: In Bildern und Videos in den sozialen Medien scheint es kaum andere Themen zu geben. Welche Rolle spielen Designer und Werbespezialisten in der derzeitigen Kommunikation?

Schon allein, dass diese Begriffe mit einem Hashtag versehen sind, zeigt, dass die Einführung und die Durchsetzung der Maßnahmen eine Frage der Kommunikationsmedien – und damit auch des Kommunikationsdesigns sind.

Dass Deutschland bisher so glimpflich davongekommen ist, liegt vor allem daran, dass die richtigen Bilder zur richtigen Zeit gezeigt und erzeugt wurden und noch immer werden. Als der Lock-Down vorbereitet wurde, gab es eine optimale Kombination von Ereignissen, um mit Bildern eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung zu schaffen. Zuerst einmal die erschreckenden Bilder aus Italien: Militär-LKW, die im Konvoi Leichen aus Bergamo in der Nacht herausbringen. Dies hat bei den Menschen in Deutschland das Gefühl hervorgerufen, dass man dies auf keinen Fall so erleben möchte. Und gleichzeitig musste die Gefahr für einen selbst schon sehr konkret werden. Und da war die Imagination einer Karnevalssitzung im eigenen Land, in der das Virus sich zwischen lustigen Narren verbreiten konnte, perfekt.

Mit dieser optimalen Kombination in der Krisenkommunikation wurde ein breiter Konsens in der Bevölkerung geschaffen – ich finde es schon fast erschreckend, wie gut dies funktioniert hat. Insbesondere das Bundesgesundheitsministerium hat – und damit will ich nicht sagen, dass diese Bilder dort gesteuert wurden – von Anfang an auf eine professionelle Krisenkommunikation – auch unter Einbindung von Agenturen – gesetzt. Die Branchenzeitung W&V hat darüber schon bereits Anfang März berichtet. Doch es gibt auch viele kleine Initiativen von Kreativen, die mit ihren eigenen Mitteln dazu beitragen, dass die Menschen Abstand halten, Masken tragen und nicht den Mut verlieren. Doch nicht nur in den Sozialen Medien sieht man diese Initiativen. Auch große Netzwerkagenturen nutzen ihre freien Kapazitäten. McCann zum Beispiel hat über 100 verschiedene Plakate in fast allen Ländern Europas gestaltet, um dem Pflegepersonal zu danken.

Welchen Einfluss hat die Krise auf Inhalt und Art von Werbung?

Viele Marken versuchen gerade, sich an der Dankeswelle für die Helden der Corona-Krise zu beteiligen. Hier geht es oft sehr emotional zu. Lobenswert ist natürlich, dass die vielleicht schon gebuchten Sendeplätze für Produktwerbung frei gemacht werden für einen guten Zweck. Ich persönlich finde es aber manchmal ein bisschen zu kitschig und wenig glaubwürdig. Da sind mir die Initiativen, die keine Marken als Absender haben, sympathischer. Auf der anderen Seite muss man eben auch sagen: Wenn es hilft, durchzuhalten, sind alle Mittel gerechtfertigt.

Können Firmen so von der Krise profitieren?

Ich bin davon überzeugt, dass alles, was Marken gerade unternehmen, um die Menschen zum Durchhalten zu motivieren und Dankbarkeit zu zeigen, nicht am Image der Marken hängen bleiben wird. Dazu sind diese Botschaften zu weit weg vom jeweiligen Markenkern. Das ist aber vermutlich auch gar nicht das Ziel und ich muss sogar sagen, dass ich es ausgesprochen unangemessen finden würde, wenn Marken versuchen würden, ihr Image in dieser Krise zu polieren.

Wird die Coronakrise die Kreativ- und Werbebranche auch dauerhaft verändern?

Nach der Finanzkrise 2008/2009 hat sich das Konsumverhalten unglaublich geändert. Eine Studie der Unternehmensberatung AlixPartners im Jahr 2009, bei der immerhin 5000 Konsumenten befragt wurden, hat gezeigt, dass in der Folge der Krise 38 Prozent der Menschen auf Markenprodukte verzichtet haben. Mit der Finanzkrise wurde ein massiver Wechsel von der Supersize-Me-Welle hin zu mehr Nachhaltigkeit eingeleitet.

Deshalb: Ich bin davon überzeugt, dass auch die Corona-Krise zu einer massiven Veränderung führen wird. Und den Begriff Krise würde ich hier gern einmal positiv besetzt und sie einfach als Wandel begreifen (schöne Grüße von Aristoteles). In welche Richtung die Branche sich aber verändern wird? Ein Szenario, das ich mir vorstellen könnte: Wenn wieder ein normales Leben möglich ist, wird es zu einer Explosion von Kreativität und Lebenswillen kommen. Unsere Wirtschaft und Gesellschaft werden bereit sein, sich neu zu formen und den Neustart so gestalten, dass man vieles hinter sich lässt, was man ohnehin schon immer verändern wollte. Hin zu mehr Nachhaltigkeit in der Produktion und im Konsum. Die Kreativ- und Werbebranche ist stets nur Spiegel und Verstärker der Gesellschaft. Und wenn meine Hoffnungen wahr werden, so wird die Branche den Trend unterstützen.

Das Interview hat Julia Dittrich aus der HAWK-Pressestelle geführt.

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